Saladin Schmitt bei Dörnemann

Im August wäre der 2009 verstorbene Bochumer Kulturjournalist und Kritiker Kurt Dörnemann 100 Jahre alt geworden. Aus seiner Feder stammen zahlreiche Veröffentlichungen, die die Arbeit des Bochumer Schauspielhauses von 1919 bis 1980 dokumentieren.

Einige Anekdoten aus der Intendanz Saladin Schmitts enthält die Dokumentation „Saladin Schmitt der Theatergründer“, die 1983 vom Schauspielhaus und dem Stadtarchiv veröffentlicht wurde:

Saladin Schmitt bei den Proben zu „Romeo ujnd Julia“ zum Darsteller des Mercutio: „Sie müssen sterben wie ein verendender Löwe. Wenn ich Ihnen das vormache, wird es höchstens ein Kolibri.“

Saladin Schmitt: „Lieber Freund, wenn ich Ihnen gut raten darf, kaufen Sie sich einen Kamelhaarmantel, wie ich ihn trage. Sehen Sie selbst: Der Schnitt wird zwar alt, der Stoff gottlob nie. Ein Kamel trägt ihn ja auch das ganze Leben lang.“

Der Schauspieler Walter Kaltheuner hat die Gabe, Saladin Schmitts Tonfall und Gestik täuschend kopieren zu können. Saladin Schmitt hört davon und bittet um eine Probe seines Könnens. Nach langem Sträuben spielt Kaltheuner, was sein Intendant verlangt. – Pause – Darauf: „Gott, lieber Walter, ich bin ihre beste Rolle…“

In den ersten Nachkriegsjahren gastiert Horst Caspar noch einmal in Bochum mit dem „Tasso“. Das Schauspielhaus macht mit dieser Inszenierung einen Abstecher, Saladin Schmitt wird dazu abgeholt. Ehe er den Wagen besteigt, sagt er zum Fahrer: „Nach Dortmund wollen Sie mich bringen? Ich habe keine Ahnung wo das liegt. Ich vertraue mich Ihnen völlig an. Fahren Sie nur zu.“

Saladin Schmitt wird abends im Schauspielhaus in einer dringenden Angelegenheit gesucht – ohne Erfolg. Als sein Dramaturg ihn am nächsten Morgen davon erzählt bemerkt er: „Wo kann man in Bochum denn abends schon sein außer im Schauspielhaus oder im Bett.“

Saladin Schmitt während einer Pause in einer Generalprobe: „Mein Gott, was ich mir da zurechtinszeniert habe – Langeweile mit weißen Handschuhen.“

Saladin Schmitt: „Intendant zu sein ist denkbar einfach. Man kauft sich einen dunklen Anzug und geht vor der Vorstellung zu seinen Darstellern, um ihnen zu sagen, wie sehr man sich wieder freut, sie heute Abend spielen zu sehen. Dann setzt man sich in eine Loge. Nach der Vorstellung bedankt man sich und gesteht ihnen, dass sie noch nie so gut waren wie an diesem Abend.“

Im Berliner Propagandaministerium fragt der Pförtner den Bochumer Intendanten zweifelnd, ob sein Vorname wirklich „Saladin“ sei. Antwort: „Meinen Sie denn, ich werde mich Ihretwegen in Beowulf umtaufen lassen?“

Saladin Schmitt wird in einem Prozess als Zeuge gehört. Der Richter setzt ihm ausführlich den Fall auseinander. Aber als er seine Erklärung abschließt, merkt er, dass Saldin ihm nicht zugehört hat.
„Herr Professor, Herr Professor, ich habe das Gefühl, als interessiere Sie die ganze Sache nicht.“
„Gewiss, gewiss, verzeihen Sie bitte gütigst, verehrter Herr Präsident… Ich überlege nur die ganze Zeit, welche Rolle Sie bei mir spielen könnten.“

 Als man es für gut befand, gegen Ende des Ersten Weltkriegs auch Saladin Schmitt zu den Soldaten einzuziehen, sprach Schmitt zu dem ihn begleitenden Freund, dieweil er, den rechten Zeigefinger am rechten Nasenflügel, nachdenklich die weite, von drei niedrigen Baracken eingefasste Öde des Kasernenhofes betrachtete: „Sieh nur, welche kümmerliche Dekoration für eine kriegerische Einrichtung!“, und schritt hierauf, lässig sein Zivilistenpäckchen tragend, auf die Mitte des Kasernenhofes zu, wo gerade ein schreckenerregender Feldwebel mit zinnoberrotem Kopf eine Menge Rekruten in den Zustand des ersten Menschen versetzte.

Saladin Schmitt klopfte besagtem Feldwebel andeutungsweise, doch freundlich auf die Schultern und sagte liebenswürdig, heiter: „Ach, sagen Sie, Bester, wo kann ich denn hier mein Kostüm abholen?“

 Weitere Anekdoten

Nach dem Krieg übersandte ein junger Schriftsteller der Bochumer Bühne sein Werk „Beton“. Saladin Schmitt schickte es zurück mit der Bemerkung, er habe das Stück „Zement“ mit großem Interesse gelesen, könne es aber leider an seiner Bühne nicht aufführen. Der Autor antwortete: „Wenn Sie mein Stück gelesen hätten, so wüssten Sie, dass sein Titel „Beton“ und nicht „Zement“ lautet.“ Darauf Saladin Schmitt: „Selbst wenn Ihr Stück „Asphalt“ hieße – ich kann´s nicht bringen.“

Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs existierte in der jungen Großstadt Bochum keine öffentliche Kunst- oder Kulturpflege von Bedeutung. Im Theaterleben Deutschlands war der Platz noch 1919 vollend unbekannt. Erinnerte sich Saladin Schmitt: „Als ich meinem Intendanten in Freiburg sagte, ich ginge nach Bochum, antwortete er: Bochum? – Das gibt es doch gar nicht.

Saladin der Große

Es kann nicht Aufgabe dieser Erinnerungen sein, anhand der Spielpläne der zwanziger Jahre nachzuweisen, mit welcher geschickten Hand Saladin Schmitt, Bochums erster Theaterintendant (von 1919 bis 1949), in der jungen Großstadt ein Publikum für sein Haus gewann. Er brachte nämlich in den Anfangsjahren in einer Spielzeit mehr als 30 Premieren (!) heraus, mit einem kleinen Ensemble von 18 Personen (!), und zwar boten sie kunterbunt gemischte, leichte und schwere Kost. Hernach führte Schmitt das Publikum in die Bereiche jener dramatischen Kunst ein, für deren Pflege Bochum dann berühmt wurde: Nach der Festwoche mit Shakespeares Königsdramen (1927), einer Goethe-Woche (1928), Schiller-Woche (1934), Kleist-Woche (1936), Shakespeares Römerdramen (1937), Hebbel-Woche (1939) und Grabbe-Woche (1941).

In den 20er Jahren wurde jedenfalls das Bochumer Theater ein mit Stolz genannter Besitz aller Bochumer, aus allen Schichten der Bevölkerung, selbst jener, die wenig oder gar nicht ins Schauspiel gingen.

Durch dessen Foyer schritt bisweilen Saladin: hoch gewachsen, schlank. Gekleidet mit Anzug, Weste, Oberhemd und Krawatte wie aus einem Herrenjournal, umweht vom Ruhm seiner ersten Klassiker-Festwochen. Zu denen kamen immer die Literarischen Vereinigungen, die das Werk eines Dichters pflegten (also die Goethe-, die Schiller-, die Shakespeare-, die Kleist-, die Hebbel-Gesellschaften). Ihnen folgten die Universitäten mit Professoren und Studenten auch fern liegender Städte. Sie kamen aus Kiel, München, Berlin – – nach Bochum!

 Denn dort zeigte Saladin große Übersichten: In einer Woche jeweils die Hauptwerke eines Dichters. Lesungen, Diskussionen, Vorträge umrankten die Bühnenabende. Mit welchem Erstaunen man in der großen deutschen Theaterszene das jähe Auftauchen der Bochumer Bühnenarbeit aufnahm, belegt ein Bericht von Bernhard Diebold in der „Frankfurter Zeitung“ vom 18. Juni 1927, erster Abschnitt, Überschrift: „Könige in Bochum“:

 „Bochum hat geflaggt. Es ist dort ein Schützenfest, das Fest der Bochumer Maischützen. Wem gilt also der Flaggenschmuck? Der gastliche Oberbürgermeister weiß es: Nicht nur ihnen! – Bochum, das bisher nur aus Erz und Kohle bestand, soll nunmehr von einer Kuppel überwölbt werden. Der löblichen Absicht weiht sich Dr. Saladin Schmitt, der ehrgeizige Intendant des Stadttheaters, der uns Shakespeares sämtliche Königsdramen bietet. Er versteht es, die sonst in Weimar festgewachsene Shakespeare-Gesellschaft zu außerordentlichen Tagung nach Bochum zu locken, was an sich schon eine Sirenenleistung bedeutet. Er lockt sie und uns alle durch das Versprechen: nicht nur den erstmals in Weimar 1864 gespielten und an circa 20 Bühnen seitdem wiederholten Dingelstedtschen Zyklus von acht Königsdramen zu bringen, sondern dazu noch am Anfang den „König Johann“ und am Schluss den kuriosen „Heinrich VIII.“. Und Saladin hält, was er verspricht, hält es sogar ausgezeichnet, und macht aus Bochum ein Weimar.“

Saladin hat in 30-jähriger Bühnenleitung dem Bochumer Publikum die Klassik erschlossen. – Hhm, er war auch sonst auf eine Bildung seiner Gäste bedacht. Mir unvergessen, diese Szene.

Bei einer Premiere von Goethes „Iphigenie“ waren die Besucher ein wenig unruhig. Sie schienen nicht ganz bei der Sache zu sein. Da trat Saladin nach einem Aktschluss vor seine Gäste. Er machte eine formvollendete Verneigung und sagte: „Sollte sich im Hause Amüsierpöbel befinden, so möge er doch heimgehen.“

Noch eine formvollendete Verneigung. Und er verschwand hinter dem Vorhang.

Aus: Kurt Dörnemann: Mein Bochum der frühen Jahre. Bochum (Brockmeyer Verlag) 2004

Kurt Dörnemann erinnert sich auch an das gesellschaftliche Leben in der jungen Großstadt:

Die feine Gesellschaft traf sich im „Parkhotel Haus Rechen“ an der Königsallee, in Theaternähe. Dort wohnte eine Zeit lang Willi Mayenknecht, viel umschwärmter jugendlicher Liebhaber, der bisweilen im Frack hinabeilte, um bei einem Wohltätigkeitsfest mitzuwirken.

In der „Rechen-Diele“, wo ein Pianist und zwei Geiger zum Fünfuhrtee aufspielten, kostete der Mokka eine Mark und achtzig. Ich erfuhr es, als ich meine Freundin Ilse groß ausführen wollte. Mit zwei Mark für zwei Tassen Kaffee hatte ich gerechnet, nicht mit „zwei plus 1,80 Mark“ — es gab ein Stück Nusstorte dazu. Ich musste eine Mark schuldig bleiben und brachte sie dem Oberkellner am nächsten Tag. Sein Gesicht dazu kann ich noch heute beschreiben.

Die mittelfeine Gesellschaft feierte im Parkhaus des Stadtgartens. Beim Presse- und Bühnenball schenkten dort an der Sektbar die viel gefeierten Mimen Horst Caspar, Liesel Alex, Gisela Uhlen, Heidi Kuhlmann entzückten Abonnenten Getränke und menschliche Nähe aus.

Anmerkung: Das Parkhotel Haus Rechen lag dort, wo heute das Finanzamt Bochum-Süd ist. Auf dem Gelände der heutigen Kammerspiele stand bis Kriegsende noch das Haus Rechen.